"Von Allem zu viel – und immer das Gleiche"

Wieviel Geschichten wurden erzählt?
Wieviel Bücher geschrieben, Bilder gemalt, Filme gedreht?
Wieviel Geld in Kulturprojekte investiert?
Wieviel Zeit – wieviel Mühe?

All das – um was genau zu erreichen?
Hat es die Welt besser gemacht, friedlicher?
Hat es die Fähigkeit befördert gemeinsam Probleme zu lösen?

Verdeckt vom Lärm der Konzepte, zugeschüttet vom Drang zu schaffen, zu senden, zu wirken, zu glänzen, zu wachsen, zu rechtfertigen. Immer mehr, immer schneller – vertiefen sich die ideologischen Gräben, wächst die Gewaltbereitschaft.

Der Sinn von reifer Kultur ist:
Unwissenheit zu beseitigen und Leid zu vermeiden.

Es braucht neue Einsichten in die Struktur unseres Denkens, eine kulturfähige Form rationaler Innerlichkeit – eine Haltung, die geistige Selbstverhältnisse reflektieren kann, ohne in religiöse Mythen zurückzufallen.

Was also tun? Wie lassen sich alte Muster auflösen? Wie durchbrechen wir das, was sich so tief in uns eingeprägt hat?

Die einfachste, älteste – und zugleich tiefgreifendste Methode ist:

1. Den Raum zwischen zwei Gedanken bewusst wahrnehmen. Nichts weiter.
2. Diesen Zwischenraum erkennen, sich mit ihm vertraut machen und ihn allmählich ausdehnen. Das ist alles.

Kein Kampf, keine Gewalt, nur das sanfte Schmelzen innerer Verkrustungen alter Muster  – wie Schnee in der Sonne.

Mehr ist nicht zu tun. Aber weniger genügt nicht!

Wer diesen Raum kennt, beginnt wirklich zu sehen. Und wer wirklich sieht, kann die alten Muster hinter sich lassen. In diesem Raum, frei von Ich-Perspektiven, entsteht Kreativität, entsteht die Möglichkeit für Neues – frei vom Festhalten am Alten. Und zugleich wächst darin Verbundenheit und Mitgefühl.

Kultur leben heißt für uns:

  • Die ursprüngliche Kraft von Musik, Kunst und Ausdruck erfahrbar machen.

  • Eine Brücke zwischen Alltagsbewusstsein und tiefem Erleben bauen.

  • Räume schaffen, in denen Kultur nicht konsumiert, sondern gelebt wird.

Die große Verdrängung …

Das wirksamste – und zugleich verdrängteste – Muster unserer Gegenwart:
Wir sehen nicht, wie stark unsere inneren Filter unsere Sicht auf die Welt prägen.

Nicht weil es zu schwierig wäre,
sondern weil es zu viel infrage stellen würde:
unsere Gewissheiten, unsere Rollen, unser Recht zu urteilen.

Wo diese Blindheit herrscht, wachsen Ideologien. Aus Ideologien werden Fronten.
Aus Fronten wird Gewalt.

Gerade dieser Punkt fehlt fast überall:
– In der Politik, wo Lagerdenken statt Lösungsorientierung dominiert.
– In der Kultur, wo Tiefe der Verwertbarkeit weichen muss.
– In der Bildung, die Funktion vor Selbstreflexion stellt.

Es ist, als hätte man sich still darauf geeinigt, das Entscheidende nicht zu benennen:
Als wäre es gefährlich, sich selbst zu sehen.

„Schau dich selbst an. Du bist Teil des Problems.“
– W. Shakespeare

Doch genau das wäre der Anfang.
Nicht aus Schuld – sondern aus Klarheit.

Solange wir unsere Wahrnehmungsfilter nicht erkennen, werden wir Konflikte mit denselben Denkmustern lösen wollen, die sie erzeugt haben.

Kulturinfarkt revisited?

Ein Essay von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz