Wieviel Geschichten wurden erzählt? Wieviel Bücher geschrieben, Bilder gemalt, Filme gedreht? Wieviel Geld in Kulturprojekte investiert? Wieviel Zeit – wieviel Mühe?
All das – um was genau zu erreichen?
Hat es die Welt besser gemacht, friedlicher?
Hat es die Fähigkeit befördert gemeinsam Probleme zu lösen?
Verdeckt vom Lärm der Konzepte, zugeschüttet vom Drang zu schaffen, zu senden, zu wirken, zu glänzen, zu wachsen, zu rechtfertigen. Immer mehr, immer schneller – vertiefen sich die ideologischen Gräben, wächst die Gewaltbereitschaft.
Es braucht neue Einsichten in die Struktur unseres Denkens,
– eine kulturfähige Form rationaler Innerlichkeit
– eine Haltung, die geistige Selbstverhältnisse reflektieren kann,
– ohne in religiöse Mythen zurückzufallen.
Die einfachste, älteste – und zugleich tiefgreifendste Methode ist:
Schritt 1: Löse dich von der Identifikation mit deinen Gedanken und betrachte den Raum zwischen zwei Gedanken – nichts weiter.
Schritt 2: Diesen Zwischenraum erkennen, sich mit ihm vertraut machen und ihn allmählich ausdehnen – das ist alles.
In diesem Raum, frei von Ich-Perspektiven, entsteht Kreativität, entsteht die Möglichkeit für Neues – frei vom Festhalten am Alten.
Kultur leben heißt für uns:
Räume schaffen, in denen Kultur nicht konsumiert, sondern gelebt wird.
Eine Brücke zwischen Alltagsbewusstsein und tiefem Erleben bauen.
Die ursprüngliche Kraft von Musik, Kunst und Ausdruck erfahrbar machen.
Die große Verdrängung …
Das wirksamste – und zugleich verdrängteste – Muster unserer Gegenwart:
Wir sehen nicht, wie stark unsere inneren Filter unsere Sicht auf die Welt prägen.
Nicht weil es zu schwierig wäre,
sondern weil es zu viel infrage stellen würde:
unsere Gewissheiten, unsere Rollen, unser Recht zu urteilen.
Wo diese Blindheit herrscht, wachsen Ideologien. Aus Ideologien werden Fronten.
Aus Fronten wird Gewalt.
Gerade dieser Punkt fehlt fast überall:
– In der Politik, wo Lagerdenken statt Lösungsorientierung dominiert.
– In der Kultur, wo Tiefe der Verwertbarkeit weichen muss.
– In der Bildung, die Funktion vor Selbstreflexion stellt.
Es ist, als hätte man sich still darauf geeinigt, das Entscheidende nicht zu benennen:
Als wäre es gefährlich, sich selbst zu sehen.
„Schau dich selbst an. Du bist Teil des Problems.“
– W. Shakespeare
Doch genau das wäre der Anfang.
Nicht aus Schuld – sondern aus Verantwortung.
Solange wir unsere Wahrnehmungsfilter nicht erkennen, werden wir Konflikte mit denselben Denkmustern lösen wollen, die sie erzeugt haben.
Kulturinfarkt revisited?
Ein Essay von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz
